Dreifach gut:
Technologie schützt vor Krankheiten, verschafft Jobs und liefert Dünger

In den Armenvierteln dieser Erde sind Plastiktüten ein beliebter Toilettenersatz.

Schutz

Die Menschen leben im Slum dichtgedrängt in Hütten. Für eine eigene Toilette ist einfach kein Platz. Die Leute nutzen deshalb meist die wenigen Freiflächen oder einfach Tüten. Vor allem die Frauen, die beim Toilettengang im Freien oder in den wenigen öffentlichen Anlagen Angst vor sexuellen Übergriffen haben müssen.

Nach dem erledigten Geschäft wird die Tüte zusammengeknotet und landet als Müll am Straßenrand oder auf dem nächsten Hausdach. Die Folge: Katastrophale hygienische Bedingungen.

Durch den Dreck auf den Straßen und im Wasser verbreiten sich Keime. Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) kann schon ein Gramm Fäkalien zehn Millionen Viren, eine Million Bakterien, mehrere tausend Parasiten und hunderte Wurmeier enthalten. Es breiten sich Krankheiten wie Polio, Cholera und Typhus aus. Häufig bekommen die Menschen dann Durchfall, an dem jährlich 3,5 Millionen sterben – vor allem Kinder. Auch für die Leute in den Kibera-Slums in Nairobi in Kenia ist das Alltag.

Und nicht nur Menschen, auch die Wirtschaft leidet. Die Weltbank schätzt den Schaden für die Wirtschaft der Entwicklungsländer in Afrika und Asien auf mehr als 260 Milliarden Dollar pro Jahr.

Besserung soll ein innovativer Beutel aus Schweden bringen: Peepoo.

Beutel„Peepoo“ ist eine keimtötende, einmal verwendbare, voll biologisch abbaubare Toilette. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Ding kaum von den üblichen Plastiktüten. Der Beutel bewahrt jedoch hervorragend die Umgebung davor, durch Fäkalien verseucht zu werden.

Und der Beutel kann noch mehr: Nach dem Gebrauch wandelt sich der Inhalt in wertvollen Dünger, der den Lebensunterhalt sichert und die Ernährungssituation verbessert.

Jobs

Auch in Flüchtlingslager in Syrien und Pakistan hat die schwedische Firma Beutel geliefert. Dort sind Hygieneprobleme und die dadurch entstehenden Krankheiten häufigste Todesursache. Doch die humanitäre Hilfe ist nur eine Idee. Lieber will man bei dem schwedischen Startup weg vom Konzept des milden Gebers und lieber Geschäftspartner für die Slumbewohner sein.

Also so: Beutel werden von den Leuten aus dem Slum gegen einen kleinen Betrag verkauft, rund 3 EUR-Cent. Später sind die Beutel als Dünger von Landwirten und Düngerfirmen gefragt. Und mit dem Dünger lassen sich so Anbauprojekte verwirklichen, die den eigenen Bedarf decken oder als Geschäftsgrundlage dienen können.

Peepoo wird als Produkt vermarktet. Um den Absatz zu steigern, wurde ein ansprechendes Design entwickelt. Es gibt schicke Verkaufsstände. Das Logo ist ein umgedrehtes Herz – das dann eben so aussieht wie ein Po.  Eins der Konzepte funktioniert wie eine Tupperparty. Eine Händlerin befragt die Runde nach dem Problem, nach der gängigen Praxis und präsentiert dann…. tadammmm!!! …. die Lösung: Peepoo.

Peepoo zu nutzen, wird schick. Man will den Kunden schließlich ein attraktives Produkt bieten. Und das funktioniert: Die Akzeptanz für die Beutel ist hoch. Die Bekanntheit steigt, dank der Hilfsorganisationen und dank der Händler und Händlerinnen.

Material

Die äußere Hülle ist ein hochperformanter, biologisch voll abbaubarer Kunststoff nach EU-Standard EN 13432. Das ist der strengste Standard für biologische Abbaubarkeit und Kompostierbarkeit. Konkret heißt das, dass die benutzten Peepoo-Beutel nicht einfach irgenwie zerfallen, sondern die Moleküle sich in Kohlenstoffdioxid, Wasser und Biomasse aufspalten.

Im Detail: Der Kunststoff der Beutel besteht aus einem Mix aus aliphatisch/aromatischen Co-Polyestern (Ecoflex) und Polymilchsäure (PLA), die aus Stärke gewonne wird, mit kleineren Zugaben von Wachs und Kalkstein. Das Biomaterial ist in Kooperation mit BASF in Deutschland entwickelt worden.

Der Kunststoff wird derzeit aus ca. 50 % erneuerbaren Rohstoffen hergestellt, angestrebt werden 100 %.

Eine Alternative, die gerade untersucht wird, ist ein Mix mit einem Anteil aus Polyhydroxyalkanoate (PHA), einem Kunststoff, der von Mikroorganismen hergestellt wird.

Jeder Beutel enthält 6 g Harnstoff oder Urea (auch Carbamid genannt, chemische Formel CO(NH2)2). Dieser Stoff erledigt die gefährlichen Erreger, wenn er mit Urin und Kot in Kontakt kommt. Es handelt sich um eine weiße kristalline Substanz. Sie ist wasserlöslich und enthält 46 % Stickstoff. Urea zählt eine organische Verbindung, weil sie Kohlenstoff enthält und der meistverbreitete Kunstdünger der Welt.

Produktion

Maschine

Die Herstellung erfolgt voll automatisch. Die Produktion läuft seit Mai 2013. Eine eigens dafür entwickelte Maschine, die 2014 von Deutschland aus nach Schweden geliefert werden sollte, hat eine Kapazität von bis zu einer halben Million Peepoos pro Tag. Das sind rund 150 Millionen Peepoos pro Jahr. Die Entwicklung dieser Produktionslinie ist die Voraussetzung dafür, die Kosten soweit zu senken, dass sich das Geschäftsmodell für die Slums rechnen kann. Der deutsche Hersteller der Maschine ist die BICMA Hygiene Technology GmbH.
[Die Lieferung war für 2014 geplant. Ob alles so geklappt hat, konnte ich (noch) nicht herausfinden.]

Dünger statt Dreck

Arbeit mit Dünger

Sobald die Rückstände völlig von Keimen befreit sind, sind menschliche Fäkalien und Urin reich an Nährstoffen. Der Prozess dauert etwa vier Wochen. Mit diesem Dünger lassen sich die Ernteerträge in kargen Ländern erhöhen.

Organischer Dünger

Es gibt zwei Arten von Dünger: organisch und anorganisch. Organischer Dünger besteht aus organischem Material, während anorganischer Dünger aus einfachen anorganischen Stoffe oder Mineralien besteht. Letzterer tritt natürlich auf, in Torf oder in Minerallagerstätten. Oder er wird durch natürliche Prozesse gewonnen, z. B. Kompostierung. Oder er wird durch chemische Prozesse gewonnen, z. B. den Haber-Bosch-Prozess.

Bedarf vor allem in Afrika

In den Entwicklungsländern gibt es einen enormen Bedarf. Etwa 850 Millionen Menschen leiden unter chronischem Hunger. Eine unsichere Ernährungslage, besonders in Afrika, ist das Ergebnis von Mangel an vernünftiger Nahrungsmittelproduktion. In Afrika fehlt die Tradition, Dünger einzusetzen. Dazu ist die Erde ausgelaugt, erodiert und ist enorm Nährstoffarm.

Der Mangel an landwirtschaftlicher Produktion, der Unterernährung auslöst, ist als ein Hauptgrund für „durch gesundheitliche
Beeinträchtigungen korrigierten Lebensjahre“ (disability-adjusted life years; DALYs ) identifiziert worden.

Dünger einzukaufen, ist schlicht zu teuer. Hier bietet Peepoo durch die Kompostierung einen weiteren Benefit. Und es gibt erste Erfolge, die Hoffnung machen. Z. B. produziert Nairobi 60 % der kultivierten Nahrungsmitteln innerhalt der Stadtgrenzen. Auch Flüchtlingscamps bieten sich für den Einsatz von Dünger geradezu an, denn diese liegen oft auf extrem nährstoffarmen Flächen.

In Asien nutzt man menschliche Hinterlassenschaften seit tausenden von Jahren als Dünger. Z. B. gibt es traditionelle Toiletten, deren Füllung in Teichen zur Fischzucht landet. Es gibt zwar Grenzen, aber prinzipiell funktioniert diese Art der Düngung offensichtlich ganz gut.

Innere Werte

Die Menge der Fäkalien hängt von der Art der Nahrung ab. Sie steigt mit dem Verzehr von Ballaststoffen und Gemüse. Durchschnittlich produziert ein Mensch 30 bis 60 Kilo Exkremente pro Jahr. Das Urinvolumen hängt von der Menge des aufgenommenen Wassers ab und vom Grad des Ausschwitzens, der wiederum von der Bewegung und der Umgebungstemparatur abhängt. 1,5 Liter gilt als Durchschnittswert pro Tag. Beides zusammen sind reich an Nährstoffen. Fäkalien können außerdem dazu beitragen, das organische Material anzureichern und außerdem die Wasseraufnahmekapazität zu erhöhen.

Ertrag durch Düngen

Erwartungswert an Nährstoffen „aus einer Person“ pro Jahr in der Sub-Sahara:

  • Gesamtmenge N=2,8 kg P=0,4 kg K=0,5 kg
  • Urin N=2,46 P=0,27 K=0,37
  • Fäkalien N=0,34 P=0,13 K=0,13

Übersetzt in Kunstdünger, entspricht dies:

  • 6 kg Urea
  • 2 kg TPs
  • 1 kg KCL

Der Einsatz von Peepoo, so wie es zusammengesetzt ist, würde das noch um 1,5 kg Urea pro Jahr ergänzen.

(So, und die Chemikerinnen unter Euch werden wissen, was die Buchstaben, die ich aus dem englischen Originaltext gefischt habe, bedeuten…)

Ausblick

Peepoo und andere ähnlich schlaue Ideen stehen leider erst am Anfang.

Eigentlich schade, denn laut Weltbank ist Entwicklungshilfe – gerade in diesem Bereich – besonders effektiv. Jeder US-Dollar, der in sanitäre Anlagen fließe, zahle sich in 5fach aus.

„Wer weiß“, sagt Erfinder Anders Wilhelmson, „vielleicht ist Peepoo das erste Produkt, das in den Slums populär wird und von dort die reiche Welt erobert.“ Das ist sein Traum. In Schweden häufen sich bereits die Anfragen von Seglern, die Peepoos wollen. Auch bei Musikfestivals und anderen Großveranstaltungen könnten Peepoos die Chemietoiletten ersetzen.

Gute Marketingideen sind schon da: Der Kauf 1 Beutels bei einem Festival sponsert 10 in Kibera. Oder die Kooperation mit einem Wasserwerk: Jedes Spülen sponsort einen Beutel.

Mehr Infos und Quellen:
www.peepoople.com
http://green.wiwo.de/beutel-toiletten-fuer-mehr-hygiene-in-slums
www.brandeins.de/archiv/2012/nein-sagen/klo-fuer-die-welt

Bilder:
http://www.huffingtonpost.ca/2014/11/19/peepoo-biodegradable-toilet_n_6188026.html
www.peepoople.com

Augen-Logo Maria

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