Kann KI die Natur retten?
Das Buch ist gar nicht mal sooo dick (um die 200 Seiten), doch der Rundumblick ist sehr gut gelungen: Von Arten von Intelligenz (entlang der Evolution bis KI) über aktuelle und künftige Möglichkeiten der KI bis hin zu den Gefahren. Die kurze, gut lesbare Einführung in das Thema Intelligenz hat mir als Anknüpfung dazu gut gefallen. Sis ist sehr gut zusammengestellt und erläutert. Und die wirklich schöne, greifbare, umfassende Definition von „Biodiversität“ holt die geneigte Leserin gut ab, hier die Kurzvariante: In Genen, Arten und Ökosystemen. Und im Buch gibt es die schöne, vollständige Definition.
Im Stil eines sachlich-fundierten (guten!) Schulbuches formuliert, dabei merkt man den Autorinnen ihre positive und konstruktive Herzensangelegenheit in der Sache an. Immer wieder spannend und sachlich fundiert aufbereitet.
Was kann KI?
- Bisherige Naturschutzansätze effektiver und /oder effizienter hinbekommen: Naturschutz, Forschung, …
- Praktiken verbessern, d. h. umweltgerechtes Handeln unterstützen bzw. belohnen: Landwirtschaft, Unternehmen, …
- Z. B. „Wildunfälle“ im Ozean verhindern
Ein Ritt durch die Evolution… und weiter
Das Buch zeigt, wie Künstliche Intelligenz Tierarten und Ökosysteme erhalten und den Naturschutz revolutionieren kann – wenn sie richtig eingesetzt wird.
Zu Beginn der Lektüre begegne ich LUCA, einem coolen Kerlchen, das ich gern mal persönlich kennengelernt hätte. Leider lebte es (weit, weit) vor meiner Zeit ;o)
Eine Biologin und eine Wirtschaftswissenschaftlerin erklären unter anderem, wie Kleinstlebewesen wie Insekten oder größere wie Vögel zu wertvollen Datenlieferanten werden und so dabei helfen, Naturkatastrophen oder Krankheitsausbrüche frühzeitig zu erkennen.
Besenderte Meeresschildkröten liefern die Daten, um Zyklone besser vorherzusagen, da diese in Tiefen von 25 bis 200 m früher Anzeichen zeigen als an der Oberfläche. Oder: Rund 80 % der Daten zu Eisdicke und Ozeansalinität in der Antarktis liefern heute Südliche Seeelefanten. Danke, Digga! Und in Vulkangebieten heißt es: „in goats we trust“ – denn die Ziegen nehmen früh Veränderungen wahr. Da geht was.
Neben Sensoren, Wildtierkameras und KI-Auswertungen von Laienfotos im Internet (auf Social Media) ist auch das akustisches Monitoring eine hervorragende Datenquelle, um tierische und pflanzliche (!) Individuen, Populationen und Ökosysteme hinreichend zu erforschen, um deren Schutz zu verbessern. Die akustischen Aufnahmen lassen sich dank KI nach und nach immer besser entschlüsseln: Sie verraten, ob ein Ökosystem intakt oder aus dem Gleichgewicht geraten ist. Immer leichtere Sender machen immer mehr Datengebiete zugänglich, aktuell liegt das Gewicht der kleinsten Sender bei gerade einmal 0,2 Gramm. Damit sind die Dinger insektentauglich!
Apropos Ökosystem. Die Grafik, die die Übersicht über Ökosystemleistungen anschaulich darstellt, macht den Kontext deutlich: Alles mögliche, was Menschen nicht selbst herstellen können und wo wir abhängig sind von natürlichen Faktoren, z. B. Bodenbildung. Weit mehr als „die Temperatur steigt und CO2 ist das (einzige) Problem“.
Das Internet der Tiere kommt mit einer Reihe von Stichworten um die Ecke, in die man sich weiter rein-nerden kann: Taxonomie, Genetik, Verbreitung, Verhalten, Krankheiten, Bedrohungsgrad, ökologische Prozesse im Zusammenspiel von Arten… Wow!
Hoffnung auch für die wachsende Menschheit: „How to Sustainably Feed 10 Billion Poeple by 2050″… es geht! Und es geht mit der Natur, nicht gegen sie. Es geht NUR mit der Natur.
Damit kommen wir zur Wirtschaftlichkeit: Sehr interessant, da hier Ökosystemleistungen bewertet und mit dem BIP (Bruttoinlandsprodukt) verknüpft werden. ARIES* ist dabei eine Plattform, die hilft, nach SEEA*-Prinzipien Ökosysteme zu bewerten (* s.u. Themenliste). Genutzt wird die Logik der Wirtschaft, um Nachhaltigkeit in die Rechnungen und damit in die Investitionsüberlegungen hinein zu bringen. Catchy Schlagwort: „Nature on the balance sheet“ (z. B. gibt es Ansätze, die Investitionen in Naturschutz nicht mehr nur als Ausgabe/Corporate Social Responsibility-Maßnahme, sondern als Wertposten in der Bilanz von Unternehmen ermöglichen). Nice.
Neben den KI-Aspekten lerne ich wieder mal dazu, was die Wunder der Natur betrifft. Tiere und Pflanzen haben über Millionen Jahre offensichtlich Fähigkeiten entwickelt, die jenseits jeder KI-Anwendung beeindruckend sind. Das Wissen darüber ist ebenso wichtig wie die Weiterentwicklung der Technik, soviel wird beim Lesen klar.
Ach guck: Im Kapitel zur künstlichen Intelligenz gibt es eine direkte Ansprache an ITler, dass sei gnädig dies hier rasch überfliegen können. Mitgedacht, gefällt mir :-)
Die Zukunft hat schon angefangen
Hmm… das hier macht mir ein bisschen Gänsehaut: Echte menschliche Hirnzellen sind heute schon Teil von technischen Rechenmaschinen. Sie lernen um ein Vielfaches schneller als künstliche neuronale Netze und benötigen dafür um Größenordnungen weniger Energie. Grund für Hoffnung? Sicher. Grund für ein komisches Bauchgefühl? Sicher auch das. (Technologiekonferenz MWC 2025 zeigte erste kommerzielle Modelle von Cortical Labs)
Zitat
Die Artikel und Studien haben wir alle selbst gelesen. Wir haben uns nichts von einer KI zusammenfassen oder formulieren lassen. Alle Fotos in diesem Buch sind echt. Alle Fotos? Nein, ein einziges ist KI-generiert. Viel Spaß beim Suchen.
Autorinnen
Frauke Fischer: Die promovierte Biologin gründete 2003 die Agentur »auf!«, eine Beratungsagentur zum Schwerpunkt Biodiversität. Sie bearbeitet dieses Thema seit über 30 Jahren als Wissenschaftlerin, Beraterin und Unternehmerin. Für ihre Arbeit wurde sie international ausgezeichnet und in Gremien berufen.
Hilke Oberhansberg: Sie ist promovierte Wirtschafts- und studierte Umweltwissenschaftlerin und arbeitet nach vielen Jahren in internationalen Konzernen nun im Bereich Umweltbildung und Umweltberatung. Im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit interessiert sie insbesondere der Mensch innerhalb und außerhalb von Organisationen, in ihrem/seinem Tun und ihren/seinen Rollen als Mitarbeiter:in, Konsument:in und Akteur:in.
Fazit: Lesen, lernen, hoffen – da geht was!
Themen
- Evolution und Entwicklung
- Intelligenz, Neugier, Zufall
- ICARUS: International Cooperation for Animal Research Using Space
- „Internet der Tiere“
- Agroforst
- * SEECA = System of Environmental-Economic Accounting und ARIES = Artificial Intelligence for Ecosystem Services
- AniBOS = Animal Born Ocean Sensor
- CETI = Cetacean Translation Initiative „What whales are saying“
- Aber: Stromrechnung, Wasserverbrauch, dürftige Datenlage, …
- How To Sustainably Feed 10 Billion Poeple by 2050, in 21 Charts
Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg: „Kann KI die Natur retten?“ oekom 2025. 26,- EUR (D) / 26,80 EUR (A). ISBN 978-3-98726-163-3.
Weitere spannende Info
Übrigens brachte meine Recherche noch ein anderes ARIES ans Licht, auch interessant: ARtificial Intelligence for Environment & Sustainability
Maria